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    SOFT PLYO w/ Donja Nasseri

    Ein Gespräch im Fitnessstudio.

    Du hast neulich gesagt, dass das künstlerische Arbeiten dich immer ein bisschen “verschluckt” … was ja vielleicht erklärt, dass du so spät anfängst. Und was ich mich dann gefragt habe — ich fange auch spät an, und wenn ich schreibe, vor allem bei Geschichten, dann lebe ich da immer drin. Ich trinke oder esse das, was die Hauptfiguren trinken und essen, oder mache Erfahrungen, die sie machen … und ich gönne mir auch sehr viel, weil ich mir denke, ich muss jetzt schreiben und habe alles verdient, was ich dafür brauche. Ich höre Musik, die für mich nur noch damit zu tun hat, und gehe voll darin auf und lebe halb in dieser irrealen Welt. Und das ist der geilste Moment!

    Hast du diesen Moment auch und wo ist der bei dir, im Arbeitsprozess?


    Lustig, dass du das mit der Gönnung ansprichst, weil ich hab das Gefühl, wenn ich so richtig intensiv in diese Phase reinkomme und mich selbst so unter Druck gesetzt hab, dass ich weiß: Jetzt oder gar nicht, oder du wirst rausgekickt … das ist so ein Gefühl, so eine Angst, wie in der Schule, wenn man nicht gelernt hat und weiß, jetzt gibts auf jeden Fall ne Sechs — und dann mogelt man sich da noch rein, indem man sich drei Tage vorher doch noch ein bisschen damit auseinandersetzt und daraus ne Vier minus macht und sich denkt: Jetzt hab ich mich aber noch gerettet.

    Natürlich ist das jetzt so auf der professionellen, künstlerischen Ebene mein altes Ich, das Kind, dieses lazy child, das nach der Schule nach Hause geht und den Fernseher anmacht ... RTL II hab ich voll viel geguckt, und auch Sailor Moon, hab ich alles aufgesogen, und wenn ich dann Hausaufgaben gemacht hab, musste parallel Fernsehen geguckt werden.

    Jetzt, als erwachsener Mensch, arbeite ich ähnlich. Da läuft der Fernseher und ich geh dann in den Supermarkt und sage mir, ich arbeite jetzt künstlerisch, also darf ich mir auch Süßigkeiten kaufen, deswegen nehme ich auch immer zu, wenn ich arbeite. Das ist eigentlich total bescheuert.


    Ich glaube, ich auch, weil ich mir dann Nachtisch bestelle. Und das ist etwas, was sonst in meinem Universum gar nicht existiert. Aber wenn ich schreibe, darf ich Nachtisch bestellen!

    Ja, und ich finde, wenn man dann arbeitet, also sobald ich im Atelier bin, habe ich ein weniger schlechtes Gewissen, wenn ich Essen draußen kaufe, weil es ja die Funktion einer Belohnung hat. Wenn ich jetzt aber eine feste Struktur hätte und fleißig jeden Tag intensiv arbeiten würde, dann würde ich ja niemals so handeln, denn dann müsste ich mich ja immer belohnen und dann ist es gar keine Belohnung mehr. Das kann es nur sein, wenn es eine zeitliche Begrenzung dafür gibt. Wenn es eingeengt, gestaucht ist in der Zeit.


    Aber wenn wir dann anfangen, arbeiten wir ja viel mehr in kurzer Zeit als jemand, der konstant arbeitet. Das ist ja viel anstrengender, also verstehe ich da unser Bedürfnis nach Belohnung auch — ich frage mich nur manchmal, ob ich es überhaupt anders könnte oder ob ich die Sachen dann noch genauso machen würde, wenn ich es mal schaffen würde, „richtig“ anzufangen … hast du dich das auch mal gefragt? Was wäre, wenn ich jeden Tag zur Arbeit ginge.


    Jaaaaa, das denke ich mir immer wieder. Immer, wenn ich mir ein schlechtes Gewissen mache, dass ich gerade noch nicht angefangen hab, ins Atelier zu gehen und einfach mal Dinge zu erledigen, stell ich mir mich vor, wie ich fünf Tage in der Woche diesen klassischen Job hab, morgens bis nachmittags im Büro oder in der Schule sitze und richtig in eine Unzufriedenheit reinfalle. Und dann stelle ich mir mich vor, in dieser Geschichte, wie unzufrieden und unglücklich ich wäre, und dabei sitze ich in meiner Wohnung, in meiner Küche und trinke einen Kaffee und denke nach — und das ist ja eigentlich total schön, warum mache ich mir dabei denn ein schlechtes Gewissen? Ich habe oft ein schlechtes Gewissen, dass ich gerade jetzt nicht arbeite.


    Ich auch, ich habe immer das Gefühl, ich würde zu wenig machen, und wenn ich dann Phasen hab, in denen ich luxusverwahrlost in der Systemgastronomie rumsitze und an einem Abend drei Kapitel schreibe, dann merke ich, dass ich vorher so viel darüber nachgedacht habe und mich, teilweise auch aktiv, so da reingesteigert hab in diese Geschichte, dass ich sie nur deswegen jetzt so aufschreiben kann. Weil ich vorher etwas so intensiv betrieben habe, von dem ich zuerst dachte, dass es Prokrastination ist, aber eigentlich habe ich die ganze Zeit nur darüber nachgedacht. Und hätte ich mir nicht die Zeit genommen, so zu trödeln, dann könnte ich wohl jetzt auch nicht so schnell schreiben. Und irgendwann dachte ich dann, das gehört beides vielleicht auch einfach zusammen.


    Ja, das geht gar nicht anders.


    Vor dem Schreiben gehe ich oft schwimmen oder liege einfach herum, ohne zu lesen, und dann denke ich mir immer, du willst schreiben, also musst du doch auch lesen! Aber ich muss dann wortlosen Tätigkeiten (oder Nicht-Tätigkeiten) nachgehen, damit mir die richtigen Worte einfallen.

    So würde ich meine Schreibpraxis gar nicht beschreiben. Meine ist so wie Bausteine zusammensetzen: Ich sammle Sätze und Fragmente — und so mache ich eigentlich auch meine Fotos — und baue das dann zu Texten oder Formen zusammen. Also den Text, den ich jetzt für das NRW Forum verwende, dafür habe ich zum Beispiel ein Zitat von Hatschepsut genommen, das sie mit Hieroglyphen auf einen Obelisken gemeißelt hat.


    Sie selber?


    Sie hat das nicht selber eingemeißelt, aber es war ihre Botschaft. Und dann habe ich davon die Übersetzung genommen und mich mit diesem Text auseinandergesetzt, mich in ihre Position und ihre Aussage hineinversetzt, und ihre Kernaussage, die sehr feministisch ist, quasi als Fließtext in unsere Sprache übersetzt und ihr Zitat eingebaut. Und das finde ich eine ganz interessante Art, zu schreiben. Oder auch wenn ich mit Leuten rede, dann schreibe ich mir Sätze oder merke sie mir und denke darauf basierend dann weiter.

    Also brauche ich etwas, das mir gegeben wird, um darauf zu reagieren.


    Das mache ich manchmal auch so, wenn ich Texte für Leute oder über ihre Arbeit schreibe, also kürzere Texte — wobei „kurz“ bei mir fünf oder sechs Seiten heißt, weil ich mich beim Schreiben nicht kurz fassen kann, wie beim Labern auch — dann fällt mir der perfekte Satz ein, oft ein Satz für den Anfang oder das Ende, und da weiß ich dann auch, dass ich mir den sofort aufschreiben muss, weil er mir sonst in dieser stimmigen Wortkonstellation nicht mehr einfallen wird. Das kriege ich nicht nochmal so hin, in dieser Klarheit.

    Oft weiß ich das Ende von einem Text an seinem Anfang — und dann kann ich mit dem Schreiben beginnen und muss nur noch herausfinden, was dazwischen liegt. Wenn ich eine längere Geschichte schreibe, ist es aber oft nicht mehr so, weil ich dann selbst nicht weiß, wie es weitergeht und herausfinden muss: was machen die denn jetzt als Nächstes, die Personen?


    Ich habe bisher zweimal Texte geschrieben, bei denen ich mit zwei Fotografien angefangen hab. Also jeweils ein Foto zu nehmen und das Foto zu beschreiben. Oder quasi dem Foto eine Bewegung zu geben und den Vor- und Nachlauf der Geschichte. Also man hat ein stilles Bild, man sieht eine Situation, und etwas aus der Erinnerung — was dann teilweise biographisch ist — und das wird dann zusammengebaut, auch mit Details aus den Fotos, die beschrieben werden.

    Wie für meine Abschlussarbeit: Da hatte ich ein Bild, eine Hochzeitssituation, mein Onkel mit seiner Ehefrau, und da beschreibe ich dann in der Soundarbeit dieses Bild. Und von der Beschreibung aus bin ich dann weitergegangen, so dass ich diese Details in den Inhalt eingebracht habe: Er hatte einen Nadelstreifenanzug an – das war ja zu der Zeit in – und dann ging es um diese langen Linien, die diesen Anzug durchlaufen, von oben nach unten, die ein bisschen illusionistisch wirken, aber auch so unschön. Und dann läuft dieses Motiv so symbolhaft, wie die Linien, durch den Text.

    Ich glaube, so, wie ich schreibe, fotografiere ich auch. Zusammensetzen, Hintergründe, Vordergründe, Symbole miteinander kombinieren, gesellschaftlich konnotierte Bilder …


    Du collagierst auch, stimmt’s?

    Ja. Mehrlagig und mehrschichtig. Und dann ist es manchmal so, dass man es nicht sofort versteht. Das ist dann auch das, womit ich ein bisschen Angst hab ... also wenn ich jetzt hier so sitze, könnte ich nicht einfach mit dem Schreiben loslegen. Ich brauche immer dieses Recherchematerial, oder eben Material, das mich unterstützt.


    Für dich ist es auch wichtig, in deiner Arbeit im Text etwas Bestimmtes auszudrücken, das eben am besten durch Worte repräsentiert wird. Weil du ja auch eigentlich immer oder fast immer multimedial arbeitest. Und das ist ein ganz anderes Ziel als meines: Ich möchte beim Schreiben etwas herausfinden, ich bin neugierig. Für mich ist das ein ganz wesentlicher Teil dieser Arbeit, das Suchen. Deswegen gehe ich da ganz rein.

    Das sind einfach bestimmte implizite Ziele: Du musst etwas sichtbar machen, im Text, und ich weiß noch gar nicht, was ich dort finde. Für mich sind Worte ein Material, mit dem ich verschwenderisch umgehen kann. Und für dich sind sie gesetzt. Du setzt sie ja auch oft in deinen Arbeiten an eine ganz bestimmte Stelle.


    Ein bisschen wie ein Untertitel, oder eine Ergänzung.


    Genau. Es sind dann ganze Welten, die man an unterschiedlichen Stellen betreten kann, das mag ich so sehr an deinen Arbeiten. Ich mag das generell gern, wenn man so einen inneren Bauchplatscher in Arbeiten machen kann und dann gehörig darin untergeht.


    Danke. Ich mag das auch, wenn Arbeiten sinnlich sind.

    Deswegen ergibt es auch Sinn, dass ich Essen mag.


    Hm, Essen ist schwierig. Aber Gerüche sind gut! Also ich mag Essen auch, aber ich will es auf keinen Fall zubereiten. Und nach Möglichkeit nicht anfassen. Und manchmal mag ich es in Gänze doch nicht.


    Ich finde es sehr meditativ, Essen zuzubereiten, so wie Yoga machen. Jede Struktur, jede Fläche … zum Beispiel, wenn man etwas schält –


    Das macht mich fertig.


    – das ist irgendwie schön. Man fühlt auch das Material.


    Ne, dann lieber putzen.


    Ja? Was ist dann das Interessante am Putzen?


    Eigentlich ist es nicht so interessant, aber wenn die Alternative Kochen ist, dann liebe ich es! Dann kann ich wenigstens Gerüche kuratieren. Mir ist noch eingefallen, dass man ja für alles verschiedene Personas hat.

    Und du verarbeitest in deinen Arbeiten oft persönliche Geschichten, oder die Geschichten haben persönliche Anteile. Und dann stehst du auf der Eröffnung als deine Ausstellung-Persona und siehst, wie andere Menschen diese Arbeiten betrachten … ist das nicht seltsam?


    Das ist total lustig … man könnte ja denken, man hat jetzt etwas preisgegeben, etwas Persönliches, Biographisches, aber irgendwie bin ich da richtig abgehärtet. Weil für mich ist es dann so ein anderer Körper, der für sich selbst arbeitet, das bin ich dann nicht. Wenn ich jemandem direkt etwas erzählen würde, wäre das für mich viel intimer. Aber so halte ich mich raus, ich bin in der Arbeit nicht mehr da. Das ist eine andere Sprache, die den Leuten das alles zeigt, und die ist auch noch so verschachtelt und so kryptisch, dass man es vielleicht auch gar nicht direkt versteht. Ich erzähle die Geschichte nicht direkt, auch wenn sie inhaltlich und thematisch darin steckt. Es ist interessant: Ich fühle mich nicht unangenehm berührt dabei, wenn jemand sich die Arbeit anguckt und sich denkt, ah, da ist jetzt ein Text, in dem es um eine intime Situation oder Angst geht, und dazu gibt es ein Bild, dann fühle ich mich damit eher … technisch.


    Stimmt, man hat etwas daraus gemacht. Oft denke ich mir, dann hatte der Spaß ja wenigstens einen Sinn. Ich konnte ihn benutzen. Bei meinem ersten richtig schlimmen Liebeskummer dachte ich mir das: Wenigstens ist es eine gute Geschichte.


    Donjas Gemischte-Tüte-Fave-Platzierung

    1. Pasta Frutta

    2. Happy Cola

    3. Wassermelonen

    4. Saure Gurken

    5. Happy cherries

    6. Brixx

    7. Kiss-Cola

    8. Schlümpfe

    9. Riesen Erdbeeren

    10. Vampis


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    Donja Nasseri verbindet Fotografie, Objekte, Video und Sprache zu einer „collagierten Einheit“. Nasseri, geboren in Deutschland, ist eine Tochter eines afghanischen Vaters und einer ägyptisch-deutschen Mutter. Sie erlebte in ihrem Leben sowohl Geschlechts- als auch Identitätsdilemmas und fühlte sich zwischen ihrer westlichen und nicht-westlichen Identität hin- und hergerissen. Veränderungen in Tradition, Kultur und (Geschlechts-)Identität bilden den konzeptionellen Kern von Nasseris Oeuvre, das vor allem auf der Fotografie als „Erinnerungsträger“ basiert. Sie lebt und arbeitet in Düsseldorf.

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    photos by Donja Nasseri

    text & concept by Thea Mantwill




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