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    Tension Tamer w/ Nadjana mohr

    Tension Tamer ist ein Tee, auf dem ein:e Tiger:in drauf ist. Oder doch ein Drache? Jedenfalls wird hier gezähmt, zumindest besänftigt. Würde der Tee halten, was die Drachenbändigung auf der Packung verspricht, gäbe es wohl weitaus weniger Kunst. Neulich habe ich überlegt, wann ich mein Leben ein gutes nenne — nicht von außen betrachtet, an les- und doch nicht durchschaubaren Parametern gemessen, sondern von innen heraus, aus dem Großteil meiner Tage, die das Leben bilden, dem Alltag. Ich denke, ein gutes Leben zu haben, wenn ich die innere Spannung auf einem oder mehreren selbst gewählten Wegen abbauen kann. Wenn ich dann abends einschlafen kann. Nicht zu viele Entscheidungen treffen muss, aber die, die nötig sind, selbst treffen kann. Nicht zu viel Langeweile, nicht zu viel Druck von außen. Mal mehr oder weniger von dem ein oder anderen, jeden Tag die Aufgabe, den inneren Druck loszuwerden, umzuwandeln, den Pegel von einem bestimmten Maß etwas herunter zu pendeln. Das, was dabei entsteht, als Nebenprodukt dieses heimlichen Zwecks.


    Bei Nadjana beginnt dieser Prozess mit Präkrastination — dem Drang, alles sofort erledigen, am besten gleich fertigstellen zu wollen. Deswegen ist meistens auch keine Zeit, die Jacke auszuziehen, so wie das Atelier betreten wurde, wird begonnen — mit Aufräumen. Das, was bei den meisten Menschen lupenreine Prokrastination ist — nie habe ich eine so saubere Wohnung wie vor einer Deadline — ist hier das Sofort-anfangen-wollen, nur eben mit etwas Niedrigschwelligem. Sortieren, herrichten, Wasser holen, was kann ich dabei noch erledigen, sofort in Bewegung sein. Dann Kaffee trinken, chillen, „Zeitung lesen“ — das Daddeln der 80er. Manchmal hilft es, ob beim oder gegen das Hochgepitchtsein, sich noch etwas weiter hochzupitchen.

    Und dann kann man auch schon anfangen.

    Druck und Spannung sind nicht dasselbe, deswegen bilden sie ein hervorragendes Duo aus dem Gefühl, innerlich zum Zerreißen gespannt zu sein und gleichzeitig von außen bedrückt, wie in eine Form gepresst zu werden. Widerstand und Reibung sind nicht nur Themen in Nadjanas Arbeit, sondern auch Werkzeug und Material, roter Faden und Grundrauschen, das sich durch alle Medien und ihren Umgang damit zieht. Vielleicht zeugt es von einem Hang zum Masochismus, aber ich fand es immer einfacher, unangenehmen Gefühlen, Druck- oder Spannungsgefühlen ausgesetzt zu sein als Taubheit oder innerer Leere. Und vielleicht ist es auch naiv, aber zumindest in der Rückschau halte ich alles, was mich zu Bewegung, zu einer Reaktion oder eben Widerstand gezwungen hat, für gut.


    „Egal, was ich mache — es bringt mich zur Ruhe und baut Spannungen ab.“



    Was permanent in Bewegung ist, rastet nicht, aber jede Form des Arbeitens hat ihren eigenen Rhythmus. Schwer zu sagen, welcher der möglichen Automatismen am Beginn der heutigen Arbeitsphase liegt — Zinn schmelzen, Gips anrühren, Kamera einstellen, etc. —, eine Leinwand zu bauen aber sicherlich nicht:


    „Ich glotz nicht auf ne leere Leinwand.“

    Erstmal orientieren, was die Medien anbieten, und dann führt eins zum anderen. Bei so viel Spannung wäre jede Pause „erzwungene künstliche Scheiße“, genauso wie eine erdachte Beschränkung auf nur ein Medium: Von der Malerei zum Film kommend, arbeitete Nadjana sich, als wir uns 2014 in Karlsruhe kennenlernten, am Versuch ab, beide Medien gleich zu behandeln und sah schließlich keinen Sinn dabei, sich selbst einzuschränken, hatte aber auch keinen Schmerz darin, zwischen den Medien und den Rollen zu wechseln.

    Für ihre aktuellen Arbeiten aus Zinn, die 2024 im Mouches Volantes gezeigt wurden und für die sie eine Edition von Schlagringen fertigte — meinen direkt vor meiner Nase, wir kommen gleich dazu — brauchte es nur einen Impuls, um zu diesem bisher unbekannten Material zu kommen: Einen Traum von Zinn. Ich habe keine Vorstellung davon, was genau man von Zinn eigentlich träumen kann, bin aber selbst seit einem Traum vom Maulbeerbaum auf der Suche nach Maulbeerenpulver, so who am I to judge. Jedenfalls stand Nadjana nach diesem Traum auf, so wie nach jedem anderen bisher auch, nur dass sie sich nach diesem Lötzinn, einen Lötkolben, einen kleinen Bunsenbrenner (normalerweise für Creme brulée genutzt) und ein kleines Milchkännchen mit Holzgriff besorgte. Und darin entstand diese Arbeit, die ich jetzt an meiner Hand trage, wann immer es mir beliebt und vor allem, wenn ich es brauche: An einem sonnigen, aber kühlen Nachmittag während eines zwischen Sackgassen und Umwegen, Impulsivität, Mutterschaft und der Wichtigkeit einer guten Beziehung zur Betreiber:in des nächsten Büdchens mäandernden Gesprächs bei inzwischen kalten schwarzen Kaffee.


    „Jedes Medium hat seine eigene Behandlung verdient und braucht das auch.“

    Wie ambivalent und in sich unterschiedlich die Beziehung zu dem jeweiligen Stoff ist, den eine Arbeit braucht, offenbart sich schon in der Differenz zwischen den Worten „Medium“ und „Material“ — die natürlich keine Synonyme sind und gar nicht dasselbe beschreiben sollen, aber doch um dasselbe kreisen. Während das Medium ein weit gefasster Begriff ist, der eine Portal- oder zumindest Scharnierfunktion beinhaltet — das Medium ist auch ein Möglichkeitsraum, ein Feld, auf dem etwas (alles) passiert oder zumindest passieren kann — und es gleichzeitig, zumindest für mich, seltsam unspezifisch und körperlos bleibt, beinahe ein Platzhalter, ist das Material konkret, benenn- und eingrenzbar, oft haptisch und bedingt mindestens eine vorausgegangene Entscheidung, nämlich die, explizit dieses zu nutzen.

    Und obwohl es genutzt wird, schreibt es doch so viel vor (auch wenn man sich selbst zu Beginn des Arbeitens gern das Gegenteil erzählt — „Ich mach jetzt was mit …“). Material grüßt immer nett, ist aber bossy. Am Ende des Arbeitens an einer Malerei (one piece of painting) wartet immer dieser sich stetig verengende Korridor, der einen nicht vor noch zurücklässt. Am Anfang meiner siebenjährigen Malpause fühlte ich mich so befreit von dieser bedrängenden, auslaugenden Tätigkeit, und diese Erleichterung hielt lange an. Gleichzeitig fehlten mir oft die Grenzen und Beschränkungen, der Widerstand eines Materials, der zu eben jener Bewegung und Handlung zwingt, die auch am Anfang dieses Textes steht: Ohne Reibung kein Funke, so Wandtattoo-mäßig das jetzt auch klingen mag.


    Oft besteht künstlerisches Arbeiten daraus, sich in genau diesem Balanceakt zwischen Selbstverarsche (daran zu glauben, genügend Zeit, Kapital und Fähigkeiten zu haben, wider besseren Wissens) im Sinne theoretischer unendlicher Freiheit, und Begrenzung im Sinne eines konkreten Rahmens — entweder durch Regeln (schwierig, da oft selbst gesetzt und dadurch künstlich oder sogar austauschbar), ein striktes Konzept oder eben die Wahl des Mediums bzw. Materials. Ohne diese teilweise von außen bedingten, oft aber auch inneren und damit individuellen Grenzen, gibt es keinen abgesteckten Raum, in dem die nötige theoretische Freiheit und damit die Arbeit stattfinden kann, und alle Impulse und Anfänge bleiben unerwidert im eigenen Inneren, verhallen im Luftleeren.


    Manche Künstler:innen finden ihr ewig währendes Tennismatch in der lebenslangen Auseinandersetzung mit einem Medium, dem ständigen Ansturm auf und Neuverhandeln der bis dahin ausgemachten Grenzen, andere suchen, wie Nadjana oder ich es tun, nach einer Neubewertung der bisherigen Sichtweisen und Fragen in neuen Kontexten und Materialien, der rote Faden in anderem Gewebe. In jedem Falle hatte ich bisher das Gefühl, dass etwas „zu gut“ zu können — im handwerklichen Sinne — letzten Endes das erste kleine Scheitern und damit den Zugang zu einer Arbeit, die ja erst noch Arbeit werden muss, verwehrt. Eine Lösung zu suchen benötigt ein Problem, zumindest eine drängende Frage, und wer künstlerisches Arbeiten als Forschung versteht (was ich tue) braucht also genau das: Ein Problem, Widerstand, Unwissenheit, Hürden und Hindernisse.


    Entdeckungs- und Spieltrieb liegen nah beieinander und in jedem Bereich des Lebens ist es wichtig, ein über die Dauer betrachtet halbwegs ausgewogenes Verhältnis zwischen Spannung und Sicherheit, Unsicherheit und Vertrauen zu halten. So wie am Anfang jeder neuen Begegnung, dem Eintreten in eine neue Rolle oder dem Erschließen eines unbekannten Gebiets dieser Kitzel, die perfekte Mischung aus (gesunder) Angst und Neugier steht, so auch bei jedem neuen Material, zu dem man eine Beziehung aufbaut, eine höchstpersönliche. Auch wenn es spirituell oder verkitscht anmuten mag, einem Pulverhäufchen, etwas Metall oder gefärbten Flüssigkeiten solchen Wert und Einfluss zuzuschreiben, ist es doch auch notwendig, sich einzugestehen, dass Kunst — vor allem die eigene, aber auch jede andere, mit der wir konfrontiert sind — so viel mit Intimität zu tun hat und in einem höchst intimen Raum geschieht, und dass das Personifizieren eigentlich toter Stoffe noch das geringste Übel und bestimmt ein guter coping mechanism ist. Also „Das Medium“ spirituell betrachtet? Übersetzt bedeutet es „Mitte“, es hat eine Vermittlungsfunktion und Vermittler:innen sind, wie Austragungsorte, oft auch Projektionsflächen, Schauplätze innerer Kämpfe, die ins Außen getragen und sichtbar gemacht werden (müssen).

    Nadjana guckt auf geschmolzenes Zinn und resümiert:


    „Dieses Material ist genau so ne Memme wie ich — sensibel, fragil, brüchig.“



    Nadjanas comfort scent ist der Duft nach Rose — eine Blume, deren Bedeutung nach ihrer Farbe zugeschrieben und gelesen wird und die sowohl die Liebe als auch ihr Ende bedeuten kann, aber auch alle möglichen Arten von Liebe.


     

    Nadjana Mohr (*1987) lebt und arbeitet in Köln und ist seit 2023 Teil des Kuratoriums der Simultanhalle. Sie schloss 2014 ihr Studium der Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Tatjana Doll als Meisterschülerin ab und besuchte als Gaststudentin die Kunstakademie Düsseldorf bei Katharina Grosse. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien und ist in privaten und öffentlichen Sammlungen u.a. der Nirox Foundation in Johannesburg und dem Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen.

    Nadjana Mohr begreift ihren Körper als vorhandene bewegliche Skulptur, der in seinen Ausdehnungen auf die Zweidimensionalität zielt, eine Malerei formuliert, einen Anzug trägt oder einen (Film)Ausschnitt wählt, um sich darin aufzulösen. Ihre Arbeit ist ein Unterfangen, mit einer organisierten Umgebung umzugehen und thematisiert die damit einhergehenden Fragestellungen.

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