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    Klare Monde am Abend


    Ein bemaltes Bild von Björn Knapp auf der Wand, ein bemalter Teppich von Thea Mantwill auf dem Boden, Installationsansicht, Young Contemporary


    Dass ich mir nicht einmal vorstellen kann, wieviel ich nicht weiß, nicht sehe, nicht erleben kann in der Welt und vor allem in der Nacht, um schlafen zu können. Wieviel lebendig ist da draußen und auch drinnen, auf dem verstaubten Dachboden, in den Fußleisten des alten Hauses, in meiner schmalen Matratze. Das, was ich nicht sehe und von dem ich weiß, dass ich es nicht sehe, sind ja nur die großen, vorstellbaren Dinge. Die, die ich unter bestimmten Voraussetzungen imstande bin zu sehen. Die Krümmung des Horizontes gehört nicht dazu. Manchmal Sonne, Mond, Sterne. Selten die Wolken von oben, nie ohne Hilfsmittel. Der Vogel braucht den Raum nicht zu erobern, er ist in ihm, schreibt Vlusser in Vogelflüge. Ich bin unterm Raum und sehe in ihn hinein, wenn ich möchte.


    Früher träumte ich so realistisch vom Fliegen, dass ich es heute vermutlich heute noch besser kann als Autofahren, das auch im Traum immer schief lief. Ich träumte es als Körpergefühl und als Sicht der Baumwipfel von oben. Permanent fallen zu können.


    Ich habe nachgedacht und denke, es bräuchte vier Monde. Zur Sicherheit und weil vier eine gute Zahl ist.


    Als ich flog und hinunter sah auf die Baumwipfel, war das die Erde, das Land. Von Luft aus an Land gehen. Was ist eine Landschaft? Ab wann ist etwas (auch) eine Landschaft? Wie klein, wie karg, wie falsch und künstlich darf sie sein? Kann Fleisch eine werden, oder Leere oder Müll?

    Muss ich sie betreten können?

    Nicht nur ich natürlich, ich denke hier für alle mit! Ich träumte das Fliegen ohne ein Vogel zu sein, ich blieb mein Körper.

    Als ich malte, dachte ich früher immer, ein Bild sollte sein wie ein schöner Sumpf voller Blumen oder besser und schlimmer: Treibsand. Die Betrachtenden sollten angezogen werden davon, wie magisch — man sagte mir damals auch, das Wort magisch sei im Kunstkontext mit Vorsicht, am besten gar nicht zu genießen, seitdem ist es mir sehr ernst mit seiner Verwendung — und sie sollten es auch betreten können wie einen Sumpf oder Treibsand. Dann erst, wenn es eben zu spät war, sollte ihnen bewusst werden, dass sie in eine Falle geraten waren — in der sie nun gern versanken. Eine schöne, warme Falle. Es sollte ein freundliches Versinken sein, wie ein Nachhausekommen im Winter oder eine kurze Bewusstlosigkeit an einem zu heißen Tag, aber auch ein konsequentes und umumkehrbares. So stellte ich mir die Malerei vor — nicht die Tätigkeit an sich, aber ihren Zweck.

    Ich kann heute nicht sagen, wie nah oder fern ihr das tatsächlich ist.


    Zwei Malereien von Björn Knapp an der Wand, eine Malerei von Thea Mantwill auf dem Boden, Installationsansicht, Kunst, Young Contemporary

    Einmal träumte ich beim Fliegen, dass der Himmel zuende war und ich oben anstieß. Man versuchte mich an den Füßen wieder hinunter zu ziehen.


    Es fehlt nicht viel zu einer Landschaft, einem Himmel oder Wasser. Manchmal nur einen versehentlichen Strich oder das Abstreifen des Pinsels auf einem Stoffrest oder der Wand. Es braucht viel, um sich Luft als Material oder Farbe als Raum vorzustellen, oder vielleicht braucht es das auch nicht, vielleicht ist es wichtiger, als Erste:r in die eigene Falle zu tappen.

    Vielleicht braucht Malerei keinen Sinn so wie Landschaft kein land und nicht alles eine Bezeichnung. Es ist wichtig, Platz zu schaffen, bevor man beginnt — egal womit — und schon gibt es Schutt und Spuren und Überreste für den Anfang.

    Ich glaube, sieben Monde wären besser als vier, weiß aber nicht, mit wem ich das verhandeln soll. Ich langweile mich, aber meistens glaube ich das nur und bin in Wahrheit überfordert.


    Der Mond und das Meer.

    Die Gezeiten, die im Gegensatz zur Zeit nicht erfunden oder künstlich eingeteilt sind so wie Land und Länder. Ich verstehe sie nicht, auch hier: Magie. Auch ich wünsche mir das Dominiertwerden, ich das Meer und über mir: Monde, mehrere.

    Dominiert zu werden bedeutet auch, ausgeliefert zu sein, aber es nicht dasselbe. Und ich wusste nicht, dass der Mond der NASA gehört.


    Malerei von Björn Knapp, Ölmalerei, Landschaft und Körper, Kunst, Young Contemporary

    Die Frage danach, ob ein Bild, das auf dem Dachboden steht, ein Kunstwerk sein kann, obwohl niemand es gesehen hat, wurde irgendwo im Inneren meines Kopfes folgendermaßen illustriert: ein Gemälde, umgedreht an die Wand des holzverkleideten Dachbodens gelehnt, darüber Staub, Fenster, Vollmond, der das verschwiegene Stück still beleuchtet.

    Es ist immer Nacht, und es ist immer ein Meister:innenwerk.

    Wer übernimmt die Verantwortung für all die Bilder, die keines sind, die schlecht, unfertig, vergessen sind? Die Versuche, selbst die Richtung zu bestimmen, die Malerei voller Gefangener, gescheiterter Versuche, Kopfgeburten. Werden sie auch vom Vollmond beleuchtet?

    Die Geschichte, die ich nicht schreiben will, aber gerne schreiben würde.

    Auch wenn es wie eine Kalenderweisheit klingt: Die besten Geschichten sind die, die wehtun beim Schreiben, so wie die Bilder, in denen man sich fürchtet, ertappt zu werden.


    Im Traum habe ich immer entweder meine Hose vergessen oder bin geflogen. Scham und Überblick funktionieren nicht gleichzeitig.


    Ich habe immer das Gefühl, dass der Mond etwas mit mir zu tun hat, so wie die Rose, die neulich in meinen Weg hineinragte und mir förmlich entgegen rief. Ich glaube, sie wollte mitgenommen werden. Ihre Blüte war so perfekt, dass ich misstrauisch wurde, aber ihre Dornen auch und da wusste ich, dass sie eine Falle ist.


    Als ich jünger war — ich war lange jung und bin froh, dass es vorbei ist — sah ich oft einen Film, der kitschig und konstruiert war, aber einen interessanten Grundgedanken hatte: Am Himmel taucht eine zweite Erde auf. Neben dem Mond. Die Kontakt- und Kommunikationsversuche werden auf- und angenommen und alles deutet darauf hin, dass es sich nicht nur um eine Parallelwelt handelt, sondern sogar um eine Kopie der unseren.

    Auch der Philosoph Christian Weidemann spricht von der möglichen „Raum-Zeit-Gebilden, die parallel zu unserem Universum existieren“, es gäbe also mindestens eine weitere Realität, in der ich etwas getan habe, das ich in dieser hier nicht getan habe und umgekehrt. Diese Parallelwelt jedoch bestünde auch in einem Paralleluniversum, was bedeutet, es gäbe keine Möglichkeit, dass diese beiden Realitäten sich jemals treffen oder überschneiden.

    Ein anderes Ich, von dem ich hoffe, das es manche Entscheidungen nicht getroffen hat, manche Wege nicht getan gen ist und manche Erfahrungen nicht machen musste. Ein anderes Ich, das niemals wissen wird, wie gern ich wissen will, wer es ist. Ohne eben jene Erfahrungen.


    Und nicht wegen des Kitsches (if you don’t like Kitsch, get out of the kitchen), sondern deswegen ist dieser Film so schlecht: So wie beim Gedanken an die Zukunft meistens vorausgesetzt wird, dass es eine positive ist, soll in neuen Welten und auch in Zeitreisen immer Schlimmeres verhindert, eine optimierte Version unserer Selbst und der Welt vorgefunden werden, für eine noch bessere Zukunft, ein reineres Ich. Man fragt sich, ob manche Menschen noch leben würden, wenn eine Stunde später oder früher, dies oder jenes, ob eine Zellteilung nicht durch ihre malfunction Verheerendes ausgelöst hätte; man sich, wäre man an jenem Tag nicht dorthin gegangen, eben nicht dieses zugezogen oder solche:n kennengelernt hätte, was zu jenem führte … doch man fragt sich nicht — zumindest habe ich das bisher nicht getan — wer oder was heute stattdessen fehlte.

    Wenn jemand doch nicht von der Lähmung der linken Seite aufgewacht, in einem unbedachten Moment auf eine scheinbar leere Straße gegangen wäre oder wenn ich an jenem Tag, an dem ein Mann mit einer Axt in der S6 mehrere Menschen verletzte, doch eben diese Bahn genommen hätte, so wie immer. Das Leben schuldet nicht mir noch sonst jemandem, ein Gutes zu sein.

    So wenig wie die Zukunft eine Bringschuld uns gegenüber hat, oder das Universum, oder unsere Kinder … es war ohnehin eine der größten Unwahrscheinlichkeiten, das ausgerechnet ich heute hier sitze — eine Tatsache, der ich meistens undankbar und selten unversöhnlich gegenüber stehe.


    Google kann erklären, wie der Mond Ebbe und Flut beeinflusst, aber nicht warum. Und er hat etwas mit mir zu tun.


    Ausstellungsansicht, Malereien von Björn Knapp, Ölmalerei, Kunst, Young Contemporary

    Die Gegenstände, Personen, Räume werden nur ein Stück weit ver—rückt, um etwas Neues, Eigenes darstellen zu können, um teil eines Sujets, Bildraumes, einer Geschichte zu werden — eigenständig, unverzichtbar.

    Das Verhandeln am eigenen Leibe, und doch nicht. Im Traum das Streitgespräch weiterführen, das in der Realität nicht einmal ausgebrochen ist, und wütend aufwachen.

    Was wäre, wenn ich im Traum, im Spiel, in der Kunst den Mond wieder sehen könnte, bevor er betreten wurde? Bevor er ein Eigentum, eine bezwingbare Masse wurde statt einer unendlichen Möglichkeit auf eine neue Welt?

    Die Veränderung geschähe in mir selbst, nicht im Mond: Ich dürfte nicht mehr wissen, dass er bereits betreten wurde.

    Ein fulminantes Vergessen wäre vonnöten.


    Vielleicht ist das Schreiben deswegen so anstrengend, auch körperlich: Sich vorzustellen, jemand zu sein, der damals, an diesem Tag, nicht XY getan hätte, sondern Z, diesen Weg nicht gegangen wäre, sondern jenen — sich vorzustellen, nicht ich zu sein, mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der ich ich bin. Und vielleicht laugt das Malen deswegen innerlich so aus: Auf der 751. Leinwand etwas zu sehen, von dem so wenig behauptet werden kann, dass es da sei wie von allem anderen auch, und es so zu verfolgen, dass es dann da ist, als hätte man etwas zum ersten Mal gesehen, das man noch nie, aber schon tausend Mal gesehen hat, ohne es zu registrieren.

    Um auch nur einen einzigen Aspekt zu verändern, neu zu denken, infrage zu stellen, muss ich die Sache geortet haben und dann meinen Standpunkt verlassen, um sie zu umkreisen — wofür ich diesen meinen Ausgangspunkt erst einmal kennen muss. Den eigenen Blick als nicht neutral anzuerkennen.

    Ich brauche Distanz, Handlungsspielraum, ich muss wissen, wo ich stehe, und woher ich gekommen bin.


    Kunst ist Sport.


    Es ist ein Kampf um die Loslösung von Zuschreibungen, ein Übergang von einer losen Ansammlung sichtbarer Dinge zu einem zusammenhängen Ausschnitt aus einer der möglichen Welten — eine Erweiterung der Flächen und Worte zu Raum, in dem sich neu leben lässt.


    Installationsansicht Ausstellung Thea Mantwill Björn Knapp, Malerei, Kunst, Mixed Media, Young Contemporary

     

    Klare Monde am Abend ist eine Ausstellung des Künstlers Björn Knapp und der Künstlerin und Schriftstellerin Thea Mantwill, die im Herbst 2024 im KM_159 stattfand. Björn Knapp zeigte Malereien, Thea Mantwill eine Malerei auf Teppich, der auch als Teil einer Installation funktionierte, in der sie den Text las.


    Björn Knapp wurde 1988 in Bensheim geboren. Er studierte an der Kunstakademie Karlsruhe bei Prof. Gustav Kluge und Prof. Marcel van Eeden, an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Andreas Schulze und schloss 2020 als Meisterschüler bei Prof. Thomas Scheibitz ab. Danach stellte er u.a. beim Salon der Gegenwart 2020 in Hamburg, im Rahmen des Vordemberge-Gildewart-Stipendiums im KIT Düsseldorf und bei der NEW POSITIONS auf der Art Cologne aus. Seine Werke sind in zahlreichen Sammlungen vertreten, darunter die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, die Sammlung des Museum Kunstpalast und die Kunstsammlung der Deutschen Bundesbank Frankfurt. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf.


    Fotos: Jana Buch

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